Was reden wir da?

Was mich da geritten hat, kann ich nicht mehr rekonstruieren, aber die Zitate aus den Katalogen sind eins zu eins übernommem - ;O)

"Kommunikation oder Logorrhoe - was reden wir da eigentlich?"

Ach ja, was waren das schöne Zeiten, als man Kleinanzeigen noch telefonisch aufgab. Dann, leider, mit Fax wurd's allmählich trockener und jetzt mit e-mail gibt's kaum mehr was zu lachen... Aber manchmal, da hat man noch Glück. Machen doch sicher alle, so Kleinanzeigen studieren. Ich meine jetzt nicht die in der Fachpresse, ich meine die in so Ramschblättchen wie "Südostkurier" und "Furz & Kündig" und so - "Ibanetz", "Gipson", "Maschl", Humbuger". Ich liebe es einfach: "McVier Buggi, neuw., kaum gesp., umständehalb. (halbe Umstände, andere Umstände, oder was?) zu verk. (na klar, "versch." hätt er sich die Anzeige ja auch sparen können...) NP 4.700 für VB 4.400 Tel. abends usw..." Na, bei dem Bombenschnäppchen hätt man ihm ja fast zu Chiffre geraten... Wie, VB viervier!? VB - Voll Bescheuert? Weiß man doch, dass die Feilbietung in solchen Postillen die Kurse schon mal grundsätzlich um fuffzig Prozis klatscht - wurscht, ob "Sahneteil", "Rarität" oder "Hammerangebot". Und mit dem pomadigen Text lockt er doch erst recht keine Sau hinterm Sofa vor, oder? Ja, die Kommunikation - was man sagen will und was davon ankommt... Da wollte ich mal etwas tiefer drauf ein...

Bloß wart ma ej, voll haste ma in so Versandkatalogen geblättert - Otto, Quelle, Neckermann und so'ne Ziegel? Alter, da schmeißt du dich weg - Teenie-klamotten und Sprache, ej boah voll scheisse ej, un-ge-lo-gen! Seite 601: Kultige Zip-away-Cargo. Na, jetzt will ich aber Finger sehen, was will uns der Dichter mit diesen Worten sagen? Na, na, naaa? Na, ne Hose, mit so großen Seitentaschen und die Hosenbeine lassen sich mit Reissverschluss so wegzippen. Gott, da muss man sich doch nicht so anstellen...! Dann Seite 644: Ne Diesel Jeans im Schnitt Saddle Loose Antifit. Ja Herrschaften, jetzt mal keine Scheu, da sind wir doch alle ...also, das heißt äh, heißt, dass die Hose so irgendwie naja weit also, wenn man fest im Sattel, dann ist die Hose, jedenfalls passt die nicht so wie wenn man locker mal eben so aber nur mit Coolen Drawstrips zu Scater-Jacket mit Funky Web-Label. Also daran kannst dann nicht liegen... Wichtig jedenfalls, um nochmal den Schnitt aufzugreifen, dass die Zipp-away-Cargo powerwashed im Sprayerdesign nur megacool, wenn (Seite 653) entweder in Leasure-Fit Tom oder alternativ in Tight-Anti-Fit Ben gewählt. Tja, einer von beiden bist du, sagt Arizona Jeans und die wissen das und da musst du dich eben entscheiden, wurscht, ob es jetzt auf darkblue-used oder superlight-used rausläuft, einer bist du, entscheide dich, ring dich durch, bring dein Leben in Ordnung - und freu dich, die von Levi's, die langen da schon anders hin, wenn sie fragen: bist du ein Pike-V-Neck Tee-, ein 566 The Sta-Prest- oder doch nur ein Sta-Prest Shirt-Typ und mit der Bombe bleibst du dann auf dich gestellt - auf Seite 643. Nicht, dass es andernorts in der Lektüre gemütlicher zuginge bei Neonüberschriften: Cargohosen - der Mega Freizeit Trend! Reicht denen jetzt ne Hose, stürzen die sich jetzt nicht mal mehr auf bunten Fahrrädern zu Tal, reicht das jetzt, einfach so ne Hose und sonst zero Action? Wahrscheinlich sind die so vollfertig mit der Welt und der Entscheidung bluestone, midstone, black/black oder gleich junglelook. Ich mein, ich würds ja auch lieber bei Basic-Comfort belassen, aber Cooler Colour-Blocking V-Neck geht halt ums Verrecken nicht mit Blue-Bleached Worker-Jeans, die Zeiten sind vorbei, da könnteste ja gleich Capricargo im Armystyle und zurück in die Tätärä....

Ja Mööönsch ja, Gitarre, ich weiß, Gitarre, Gitarre...lass ma eben zu Ende erzählen. Sprache ej, voll bescheuert. Sachja, Mode, ej, schwul und Drogen - alle, aah-lle und wurscht, was die so verbrechen, sechs Monate später - tataa, da ist der Trend: Schlupfcargopants. Und das isses halt dann, die Würfel sind gefallen, dein Leben hat wieder den roten Faden. Schnell die alten Lappen von der letzten Saison zu den Maltesern gestemmt und jetzt ma Platz da für den frischen Wind im Spind. Mit frischem Bock im neuen Rock, da biste dynamisch, sportiv, da biste im Trend und da sollste auch hin. Bin nur froh, dass ich nicht in so'ner doofen Branche bin, oder? Aber was hat das mit Kommunikation zu tun? Wir kriegen da was geflüstert, was vermittelt, eingefiltert und auferlegt. Und wenn wir denken, dass die Kids ja voll beknackt mit ihrem Markenfetischismus und Trendgehorsam, dann, bitte, siehts bei uns etwa besser aus? Hab ich nicht mal kopfschüttelnd rekonstruiert, wie unsere Branche vor ein paar Jahren in Ermangelung liquidierbarerer Innovationen uns plötzlich auf den einkanaligen, einknopfigen, einsoundigen Retrocombo downgradete? "Schluss mit MIDI", hieß es da, und "wer braucht schon zwei Kanäle", und "wahre Künstler haben den Ton in den Fingern" röhrte der Hirsch über dem Wohzimmersofa - um uns irgendwie zu suggerieren, dass der wahre Ton natürlich nur in kleinen, spartanischen, furchtbar altmodischen und noch schwereren Henkeltruhen lauert - ohne Hall, Ehrensache - und dass alles, aber auch wirklich alles, was wir in den vergangenen Jahrzehnten so an Ausrüstungsgegenständen aufgetürmt haben, völlig daneben, total am Thema vorbei, quasi schändliche Relikte unserer Fernsteuerbarkeit, unseres Kadavergehorsams gegenüber Werbung und Konsum waren. Und jetzt, endlich, jetzt werden wir gerettet, nein, mehr noch, erlöst, um nicht zu sagen geheilt und heimgeholt in die neue Einfachheit - so, im Sinne der Knäckebrotwerbung, Leben auf dem Land mit roten Backen und ohne Kohle-hydrahte nur halt eben auf Amps gereimt - echte Champs spielen simple Amps... Von wegen! Nicht lange danach nämlich kam er dann doch, der rentable Trend, zwar verspätet, dafür aber mit Wucht: Transtube, Virtualtube, Tubecloning, Ampmodeling, Ampcloning und plötzlich war es gar nicht mehr peinlich, wenn man in einer einzigen Kiste zwanzig virtuelle Ampmodelle mit fünfunddreissig virtuellen Tretminen und zahllosen weiteren virtuellen Studioeffekten virtuell verkabelte. Nur war da halt noch die Problematik mit den Jungs, den gestrigen, die sich die unendlich gutklingenden, einkanaligen Boutiquejuwelen ins Haus geholt und jetzt finanziell etwas angespannt und irgendwie drauf gestoßen, dass die vielen kleinen Tretminen, die sich Kraft der Ernüchterung verschämt per Mailorder im Haus vermehrten, doch irgendwie hilfreich in Richtung " wenn ich da drauftrete, dann krieg ich mehr Gain, saftig Delay, dann krieg ich wieder Sounds" waren. Will ja nicht gemein sein, aber erstens klingt der Ramsch vor dem Amp bestenfalls witzig, von Klangtreue, Signalgüte und so'ne Sachen kann aber keine Rede sein. Und zweitens, hatten wir das nicht damals irgendwie besser gelöst in unseren Racks, so ohne Batterien, lose genackelten Verbindungskabeln, gedrehter Phase und lausiger Level-Anpassung? Also, mit etwas Abstand betrachtet, hat man uns da nicht vielleicht eingeseift? Oder nüchtern gesagt uns das Pendel des Marktes mit Anlauf um die Ohren gehauen - auf dass wir freudestrahlend hinter der nächsten Verkündung herdackeln? Das, meine sehr verehrten Ferngesteuerten, liebe Freunde und Kollegen, das ist Marketing, so funktioniert Werbung, so verkauft man Höhensonnen in Harlem! Natürlich geht es nicht darum, ob man sowas oder überhauptwas wirklich braucht, ih wo nein, es reicht die Begehrlichkeit. Denn, Hand aufs Herz und Asche auf mein Haupt, auch unsere Musik braucht keiner, und Gitarre braucht keiner, und Kunst und Kultur... Und überhaupt, brauchen, wirklich brauchen tun wir doch kaum etwas, aber haben, haben möchten wir schondas eine und andere und wenn schon, dann bitte auch was Gutes, was Großes, Buntes, ordentlich Lautes...

Ja, das alles ist Kommunikation - wir versenden, wir musizieren, lesen, konsumieren, empfangen, konvertieren, wir inserieren, recherchieren und komponieren. Alles, was wir erleben, erleiden, erfahren und tun, ist Produkt von Information und Gegeninformation - eben Kommunikation. Und ob es uns gefällt oder nicht - und vieles daran braucht einem weiß Gott nicht zu gefallen - erkennen, bitte, erkennen sollte man es halt, und zum Eigenwohle nutzen. Wenn ich ein Demo produziere, eine Pressemappe schreibe, Bandfotos mache, dann unternehme ich den Versuch, etwas mir Bedeutsames meiner Umwelt näherzubringen. Ich kommuniziere mein Anliegen - z.B.: "Kommt auf unser Konzert", oder "Gebt uns einen Plattenvertrag" oder "Kauft meinen Amp, ich blick die Knöppe nich". Sieht man sich die Schoten aber an, die dabei rauskommen, wenn einer versucht, Bilder aus dem eigenen Kopf in andere Köpfe zu übertragen, dann fragt man sich, wozu der ganze Aufwand - sind wir eine Kommunikationsgesellschaft, leben wir im Kommunikationszeitalter? Wenns doch nur so wäre! Es wird aber nur phrasenhafter, Schlagworte verdrängen Sätze, Klischees ersetzen Erfahrungen - alle quatschen und niemand hört zu - weil's ödet, weil die Kunst des Erzählens, des Vermittelns allmählich verkümmert. Und wir sind mittendrin. Hieß es nicht ständig "Musik ist globale Sprache, ist globale Kommunikation"? Wir komponieren um die Solos rum, finden kein Ende und sind zu laut - und nebenher produzieren wir unsere Demos, entwerfen unsere Pressetexte, annoncieren unsere abgelegten Spielsachen, telefonieren mit Liveclubs, faxen unsere Stageanweisungen, e-mailen unsere Zeitpläne... Und dann....? Katastrophe! "Oh, scheiße, ich dachte ihr wolltet erst...", "Mensch, Mist, der ist gerade weg, weil er dachte...", "Mann, das haben wir nicht da, weil ihr doch gesagt habt...". Na, schon mal gehört? Jede Wette! Wie sprach ich's doch weiland und sendungsschwanger Zum Thema "Studioarbeit": Ärger, gleich welcher Art, basiert zu 90% auf falscher Kommunikation. Den Rest teilen sich Zufall und Dummheit. (Und da war ich noch milde!) Ja, damals hatte ich schon einen kleinen Vorstoß Richtung Kommunikation gewagt, hoffend, dass ich vielleicht ein klein wenig Bewusstsein mobilisieren kann. Naiv, total naiv. Aber ich bin ja ein stures Kerlchen!

Vor 'ner Weile erhielt ich ein Paket aus den USA - suuuper, endlich, meine Pickups sind da! Aber es fühlte sich so komisch an. Raus kam eine Kappe, ein T-Shirt und zehn Aufkleber. Okay, nett, als Trost für die lange Wartezeit dachte ich, und der Winter steht ja vor der Tür. Als mir ein Zettel in die Hände fiel, addressiert an einen gewissen Romario Sanchez in Buenos Aires, Argentina und da dämmerte mir, dass Romario jetzt zwei handgewickelte Custom-Shop Humbucker sein Eigen nennt, während ich die lärmende Litfasssäule gebe. Nun gut, solche Schrammen passieren - aber Thema Kommunikation - es ging ja dann erst richtig los, weil das Päckchen Reklamewäsche per UPS retour, dann natürlich die Pickups aus Argentinien nie, die da in Amerika dann mit viel sorry neue Pickups, dann aber weiß der Geier noch was mit einer Custombridge durcheinander - kurz, ich den ganzen Trödel erst 7 Monate später beieinander hatte. Auffallend war dabei, dass ich zwar jedes der im Verlauf der Geschichte getätigten Telefonate immer mit "dem Zuständigen" führte, der aber gegen Ende dann immer versprach, das gleich an "den Zuständigen" weiterzuleiten... Und da darf man sich ja schon mal fragen, wer denn nu? Ist das nur bei uns so, in unserer Musikbranche, im Musicbiz? Glaube nicht, und dennoch...Jetzt mach ich mir natürlich mal wieder keine Freunde, aber mit einhundertsechs monatlichen Schmähungen im Zeugnis kann man da eh nicht mehr so aus dem Vollen schöpfen... Jedenfalls, ein Bekannter in England (die haben eh so'n komischen Humor da drüben - und das Essen ist schon gar nicht witzig) plagt mich immerzu mit: Musiker werden Musiker, weil sie kommunikationsgestört sind! Na, wenn das nicht'n bisschen hart ist...! Aber, würg, wenn am Ende doch? Meint der, dass wir uns sosehr darauf konzentrieren, uns auf unserem Instrument auszudrücken, dass wir Sprache unterschätzen, dass wir Sprache nicht wichtig genug nehmen, dass wir uns beim Mitteilen immer irgendwie so durchimprovisieren, nicht erkennend, dass sich nur der zum Zuhören zwingen lässt, der vorher 40 Mark für ein Ticket geblecht hat und das auf Heller und Pfennig absitzen will? Oder meint der, dass alle Interaktionsgestörten frühzeitig zum Instrument greifen, intuitiv, weil sie fürchten anderweitig nicht von sich hören machen zu können. Wierum auch immer - das wäre natürlich schrecklich, um Himmels Willen, so darf zwischenmenschliche Kommunikation doch nicht ablaufen - da müssen wir uns doch mehr Mühe geben und zuhören, einfühlen, anpassen und mitdenken - was natürlich ultimativ genauso in der Musik passieren sollte, aber dann wär's ja Jazz und wer will das schon...

Also jetzt keine Wellen schlagen, keine überzogenen Ziele: Wie wärs denn, wenn wir erst mal damit anfingen, gemeinsam die Uhr zu lernen? Von mir aus, bin ich eben altmodisch, aber damals meinte man mit "wir sehen uns um drei" noch "wir sehen uns heute um drei Uhr". Was mittlerweile dabei rauskommt: "ach drei meintest du, h-e-u-t-e um drei", "hab um halbvier angerufen, aber da war bei dir echt total belegt", oder "wieso genau um drei? Mensch, da hatt ich doch noch Schüler" und "Mann, easy Alter, entspann dich, ich bin ja jetzt da..."und das soll Spaß machen, da soll man was drauf aufbauen? Und zu allem Überdruss schmeissen wir auch noch ständig mit so sinnentleerten Fragwürdigkeiten rum wie "beat, time, sync, groove, feel, style, attack, punch, off, peak, sound, tone, downbeat, halftime, cuttime, no time, bedtime....". Ja scheiße, soll da je ein vernünftiger Gedankenaustausch zustandekommen? Erinnert sich vielleicht jemand an die Sprachperlen vorangegangener In Vivos? Die Arbeitsvorgaben im Studiobetrieb im Format "Fortgeschrittene Wortfindungsstörung": "probier mal was Eagles-artiges, so Oasis, nur irgendwie heavier" oder "ich hör das irgendwie urban, so ultraclean, robomäßig". Ich meine sorry, aber vielleicht ist die englische Küche doch besser als ihr Ruf.... Wenn wir uns öfter mal Gedanken machen würden, wie etwas beim Gesprächspartner, beim Zuhörer ankommen könnte, dann wär ja schon viel gewonnen. Nein, ich glaube wirklich, dass der schlechte Ruf, den unsere Zunft in der Bevölkerung "genießt", weniger mit unserem Verhalten zu tun hat, als vielmehr mit diesem Missverstehen, diesem Kommunikationslapsus - dass wir nicht erkennen wollen, dass das, was wir uns beim "Absenden" einer Mitteilung denken, möglicherweise nicht im Mindesten mit dem im Einklang steht, was der Empfänger beim "Auslesen" empfindet. Und das beschränkt sich nicht nur auf Sprechen und Hören und Schreiben und Lesen, sondern gilt - für uns wichtiger noch - für's Musik machen. So oder so - es ist an der Zeit, dass diese Friktion, dieser Reibungsverlust, wie er tagtäglich in unserer Kommunikation passiert erkannt und vermieden wird. Das können lückenhafte Wegbeschreibungen zum Übungsraum sein, unklare zeitliche Verabredungen zum Proben, missverständliche Abmachungen bei der Gage, irreführende Umschreibungen musikalischer Ziele, unsinnige Promo-Konzepte, wirre Kommandos im Livebetrieb usw, usw, ... Willkommen in der neuen Zeitrechnung: Üben scheint im wachsenden Maße keine Sau mehr zu interessieren und Erfolg ist untrennbar mit der Fähigkeit verknüpft, entweder Gedanken, Inhalte, Konzepte selbst kommunizieren zu können, oder gefälligst jemanden zu finden - Agent, Manager, Promoter - der das für uns übernimmt. Wie auch immer - Hauptsache, wir machen uns besser verständlich und reden weniger aneinander vorbei...

© 2002 Abi von Reininghaus