Die Frage

Eine Frage, die Lehrern regelmäßig gestellt wird und um die man sie nicht beneiden sollte: “Was muss ich tun, um erfolgreich zu sein?”

 

Als ich anfing zu unterrichten – ich geb jetzt nicht zu, dass das 33 Jahre her ist, sonst komm ich mir schweinealt vor – hatte ich als Antwort immer “Üben” parat. Oder “Hart üben”. Gerne auch mal “Schweineübelbeinhart üben”. Im Laufe der Jahre wurde ein moderiertes “Offen sein für alles” draus. “Flexibel sein” kam auch mal. Dazwischen gesellte sich eine Kelle Zynismus mit “Der sichere Weg, keinen Erfolg mit der Gitarre zu haben, ist, nur auf das Griffbrett zu starren”. Da war ich sauer. Das trug jedoch zerebralen Zersatz in die Schutzbefohlenen und ich entschied mich, zurück zu rudern. Ich bot dann Kalorienreduziertes – “Nicht kopieren, sondern anders sein”. Wurde als Antwort aber nicht akzeptiert, weil anders kann auch ganz anders sein und wer will das schon. Daraufhin riet ich “Der Schlüssel ist Kreativität”, um dann flugs bei “Der Schlüssel ist Originalität” zu landen. Das fand ich schick, weil das die Plattenfuzzies auch immer zum Besten gaben, wenn sie nicht weiter wussten. Heute sind die aber original arbeitslos oder geben den Grüßgottonkel in Hartz-IV-Shows. Egal.
Kürzlich nahm ich nochmal Anlauf und rief “Hang in there” aus -  also “Reinhängen”, “Dran bleiben”, “Durchhalten”. Eine, wie ich immer noch glaube, wertvolle und nützliche Antwort. Mein Plädoyer für Geduld, Hartnäckigkeit und Leidensfähigkeit. Bissi an der Zeit vorbei, aber was soll ich sagen. Ihr kennt mich.

 

Jetzt entdecke ich gerade eine noch nicht veröffentlichte Kolumnenscherbe zum Thema “Erfolg”. Warum ich die nicht veröffentlicht habe?
1. Weil ich seit über 12 Jahren erfolglos an dem Trum rumschraub.
2. Weil man, in egal welcher Zeitung, die Geld kostet, nicht alles reinschreiben sollte – schon gar nicht die Wahrheit.
3. Weil ich “Erfolg” schließlich doch aufgriff in der 31. Folge von Abilities – aber anders, ganz anders. Oder doch nicht? Ich griff zu einem englischen Sprichwort von geradezu epochaler Sinneswucht. 

 

“Erfolg ist wie ein Furz – nur der eigene riecht gut.”

 

Absofuckolutely ja, natürlich ist das vulgär. Und wie! Und doch – raunt nicht jeder ein verlegenes “Stimmt”? Nun komm ich heut aber mit viel Schlimmerem aus dem Unterholz. Nein, nicht mit weiteren Vulgarismen.  Auch nicht mit Pornographie. Ich komm auch nicht mit Blasphemie und nicht mit Fußballliedern – viel schlimmer – mit Kollegenschelte. Aua! Bäh! Ganz pfui!

 

In diesem Blog, wie ich meine, wo jeder kostenfrei auf eigene Gefahr und Selbst-dran-blöd seine Nase reinstecken kann, ist immer Platz für Grobes. Andererseits, vielleicht ist es ja auch gar keine Schelte. Vielleicht ist es willkommener Denkanstoß, überfälliger Diskussionsansatz. Vielleicht ist es  ein brauchbarer Impuls, sich selbst zu sehen, oder ein besonnener Anschubser zum Nachdenken. Ach ‚  Í窀⁄¿€  , ich spar mir den Zuckerguss – ja, es ist Schelte, weil sowas im Kollegium eben immer so wahrgenommen wird und basta. Aber hält mich das auf? Mitnichten, Ihr kennt mich.

 

Nochmal zur Eingangsfrage: “Was muss ich tun, um erfolgreich zu sein? ”
Was, wenn diese Frage gar nicht zu beantworten ist? Was, wenn diese Frage erst eine Gegenfrage verlangt? Eine Frage wie: “Was willst Du denn werden?”

 

Im Musikbetrieb von Los Angeles wurde schon seit den 50er Jahren unterschieden zwischen “Industrial Musicians” und “Creative Artists”. Als mir diese Unterscheidung 1983 zum ersten Mal unter kam, wusste ich überhaupt nichts damit anzufangen. Bald danach wurde es mir sehr klar.
Aus heutiger Sicht und zum besseren Verständnis: ”Industrial Musicians”, also “Industrie-Musiker” betrachte ich der Einfachheit halber als “Arbeitnehmer-Musiker”. Denen gegenüber stehen die “Creative Artists”, also die kreativen Künstler, die kreativ schaffenden Musiker oder, um bei unserer Boshaftigkeit zu bleiben: die “Arbeitgeber-Musiker”. Weil der moderne Mensch Vergleiche braucht und der’s nicht bringt, sagen wir einfach Indianer und Häuptlinge.

 

So, und auf die Frage “Was muss ich tun, um erfolgreich zu sein?” würde ich eigentlich heute gerne antworten: Ja, Du ∂æµ@⁄窀®  Voll⁄∂⁄ø†, triff erst mal eine ©ø††√€®∂åµµ†€ Entscheidung! Was aber vollkommen unangemessen, überemotional und suboptimal im Sinne des Teambuilding wäre. 

 

Hey, pssst, kurz zwischenrein, so Begriffe – geil, oder? Aber der Middelhoff Thomas, der “schon in Freundschaft mit Bertelsmann verblieb”, der hat jetzt echt den Vogel abgeschossen. War bislang “subprime” die schwarze Perle der verbalen Katastrophenverschleierung, dann hat er jetzt richtig gezaubert. An seinem letzten Arbeitstag bei Arcandor (Karstadt/Quelle), als der Kutter bis zur Reling voll Wasser stand und die Fracht mit der Abendebbe vor aller Augen in den güldenen Sonnenuntergang trieb, da outete er sich, der Pfiffikus, dass er das Unternehmen “sicherlich nicht besenrein übergebe”. Hey, und das ohne sich zu übergeben. Respekt! Und dann hat der heute ne Investmentfirma in London gegründet. Na, dann kann ja nix mehr schiefgehen. 

 

Also, nochmal – Indianer oder Häuptling? 

 

Willst du Indianer sein?
Dann musst du nichts entscheiden, dann kannst du die Verantwortung abgeben. Jede Schuld in Nachbars Garten schmeißen. Um fünf den Hammer fallen lassen und Freizeit rufen. Immer beklagen, dass du weder respektiert noch anständig bezahlt wirst. Ja, was auf den ersten Blick noch etwas schmucklos daherkommt, hat auf den zweiten Blick schon seinen Reiz und bietet dabei etwas geradezu Heimeliges, Urgemütliches. Wer da mal ist, will nimmer weg.

 

Oder bist du Häuptling?
Dann bist du der, der stresst. Der, der ansagt. Nachts wachliegt. Der, der allen hinterherläuft. Und plant und erinnert und ermahnt und motiviert und die Songs schreibt und arrangiert und den Kopf hinhält. Okay, vielleicht den Namen in der Zeitung sieht. Vielleicht öfter die Glänznase im Fernsehen hat. Als erster im Meeting den Kaffee kriegt und das Risiko trägt. Wie auch immer…. Ich lass hier mal bewusst offen, was besser ist. Nur soviel: Einer bist Du. Einer. Du bist Deutschland. Weil Mehrzahl ist Deutschländer und das ist sowas von wurscht.

 

Also: Triff erst mal eine ©ø††√€®∂åµµ†€ Entscheidung, Du ∂æµ@⁄窀®  Voll⁄∂⁄ø†. Und dann: Bleib dabei. Wenigstens solange Du nicht mehr vom Spiel kapierst.

 

Aber gut, damit wir uns mit der Eingangsfrage und dem ganzen Musikkuddelmuddel nicht missverstehen frag ich auf

 

“Was muss ich tun, um erfolgreich zu sein?”

 

jetzt folgende Gegenfrage:

 

“Reicht dir eine Feder oder brauchst du fünfzig?”

 

Das ist nämlich sehr weitreichend und das ist die beste Antwort, die ich heute geben kann. Und ganz im Ernst: Es ist wirklich in Ordnung, der eine oder der andere zu sein. Völlig okay.

 

Soll mir nur bloß keiner mit einer Feder dauernd vor dem Häuptlingszelt rumwichteln.  Das ist es nämlich, worunter die Branche leidet. Alle Branchen. Wir alle.  

 

So, und das nächste Mal schreib ich was über Joe Bonamassa und wie der mich eigentlich zu dem Thema inspiriert hat, und dass der eine viel bessere Antwort hat als dieses moralinsaure Lamento von mir. Aber mei, Herrschaften, Ihr kennt mich.

 

© 2009 Abi von Reininghaus